"Leere Meere?"

von Friederike Wütscher

Sollten Kinder Fischstäbchen essen? Darf Mutti eine Korallenkette zum Muttertag bekommen? Ist es vertretbar, einen drolligen tropischen Clownsfisch im Miniaturaquarium zu halten? Immer wieder melden Journalisten in Schreckensmeldungen über die Überfischung und den Raubbau an den Ressourcen der Weltmeere. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Artenvielfalt in einem ungestörten Ökosystem der Meere und dem menschlichen Land-Leben: Damit sorgte nicht zuletzt der Roman "Der Schwarm" von Frank Schätzing für Furore, der beschreibt, welche Katastrophen ein gestörtes Meeresleben heraufbeschwören könnte.

Der Meeresbiologe Onno Groß, 41, Vorsitzender der Initiative "Deepwave" zum Schutz der Hoch- und Tiefsee, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Lebensraum Tiefsee zu schützen und die Artenvielfalt zu bewahren. Der schlacksige und quirlige Biologe wird liebevoll "Gottschalk der Meere" genannt und ist Aktivist aus Leidenschaft: Er bedauert sehr, selbst körperlich zu groß zu sein für ein Tauchboot und beschreibt mit leuchtenden Augen eine Forschungschiffstour, bei der er live die Aufnahmen eines Videoroboters am Meeresboden verfolgen konnte – und der Grund für seine mühevolle Lebensaufgabe durch das Bild wehte: Plastiktüten im Abstand von wenigen Minuten am Meeresboden.

"Die Einmischung in das Ökosystem Tiefsee hat schon lange stattgefunden. Neben Colaflaschen, Kreditkarten und Kohlen der alten Übersee-Dampfschiffe nach New York findet sich jede Menge Müll auf dem Meeresboden. Das wenige, was noch da ist, möchte ich versuchen zu retten", so Groß über den Meeresboden in bis zu 1.000 Metern Tiefe. Er fühle sich aus Berufung als Advokat der Meere und möchte das verklärte Bild von der "Welt der Wunder" durch Bilder aus der Wirklichkeit ersetzen. 80 Prozent der Fischbestände seien überfischt, 90 Prozent der Bodenfauna in bestimmten Gebieten seien durch die Tiefseebodenschleppnetze zerstört und bei jedem Fang gebe es 27 Prozent "Ausschuss": Delfine, Vögel, Haie und kleine Wale, die sterben und wieder über Bord gekippt werden.
"50 Prozent des Sauerstoffs in unserer Atmosphäre kommt aus dem Meer. Seit Jahren benutzen wir wichtige Bausteine aus dem Meer, um zum Beispiel Medikamente oder Kosmetik zu entwickeln." So entwickelten Wissenschaftler beispielsweise Krebsmittel aus Tiefseeschwämmen. Mit der seit Jahren von ihm angeprangerten Überfischung der Meere mit Bodenschleppnetzen und der Zerstörung ganzer Unterseeberge gefährde der Mensch jedoch den natürlichen Lebensraum unzähliger zum Großteil noch unbekannter Organismen und Lebensbereiche im Meer und gefährde damit auch die Nutzung des Meeres für solche Zwecke. "Jede Sekunde gibt es eine Milliarde Fischhaken im Ozean" – da komme ein Fisch auf Dauer nicht drum herum, gefangen zu werden. Bodenschleppnetze überrollten zudem wie Bulldozer die Korallenriffe und zerstörten dabei empfindliche und in Jahrtausenden gewachsene Lebensräume, die sich erst in Jahrhunderten wieder erholen können. Zurück bleibt eine unterseeische Geröll- und Wüstenlandschaft.

Die Forderung von Onno Groß und Gleichgesinnten ist einfach: Es sollen gesetzliche Regelungen auf internationaler Ebene geschaffen werden, die für alle Gewässer gelten und kriminelle Fischerei ahnden. Er verlangt außerdem den Schutz bestimmter Regionen der Tiefsee, bevor sie zerstört sind, und Forschung, um die bisher unbekannten Organismen und Lebensräume zu entdecken.

Sein Engagement für die Rettung der Meere brachte Groß vor kurzem in eine besondere Rolle: Im TV-Kinderkanal war er im Tigerentenclub als Meeresexperte eingeladen und begeisterte die Kinder mit der Darstellung einer bunten und artenreichen Unterwasserwelt. Doch auch die kritische Seite seines Herzensanliegens vermittelt er Kindern; sein eigener achtjähriger Sohn, so Groß mit einem stolzen Augenzwinkern, habe vor kurzem in der Schule mit Freunden einen Club zur Jagd auf Walfänger gegründet.

Groß selbst isst Fischstäbchen gerne. Seine Kinder auch. Und diese könne man, so Groß, auch ökologisch korrekt einkaufen: Produkte von zertifizierten Fischereien schmecken gut – ohne schlechtes Gewissen.

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