Dr. Evil und die europäische Fischereipolitik

„Falls Dr. Evil in seinem Streben nach absoluter Weltherrschaft beschlossen hätte, die Europäische Gemeinschaft dadurch zu schwächen, dass er die europäische Fischerei zerstört -was würden seine Geheimagenten tun? Zunächst würden sie versuchen, die Grundlage der Fischerei, also die Fischbestände selbst, zu zerstören. Zu diesem Zweck würden sie darauf dringen, dass wesentlich höhere Fänge erlaubt wären, als junge Fische nachwachsen können. Sie würden sicherstellen, dass die Fische gefangen werden, bevor sie sich fortpflanzen können. Und sie würden besonders darauf achten, dass die großen, langlebigen, fruchtbaren Fische mit den guten Genen ausgerottet werden, um so den Beständen die natürliche Absicherung für schlechte Jahre zu rauben. Sie würden engmaschige Netze vorschreiben, die kleinere Fische fangen als überhaupt angelandet werden dürfen, und durch ein unüberschaubares Geflecht von Verordnungen würden sie dafür sorgen, dass die Fischer ihren halben Fang auf See tot über Bord werfen müssen. Sie würden kleine Fische wie Sandaale und Heringe so dezimieren, dass den großen Fischen die Nahrungsgrundlage entzogen wird. Und sie würden sogar in Schutzgebiete erlauben, den Meeresbodens mit schweren Grundschleppnetzen immer wieder umzupflügen. Damit würde dieses vielfältige Ökosystem in eine Schlammwüste verwandelt und besonders den Jungfischen Schutz und Nahrung entzogen.

Allerdings widerspricht eine solche Behandlung der Fische und ihrer Umwelt den internationalen Gesetzen und Abkommen, die die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten unterzeichnet haben, wie zum Beispiel das internationale Seerechtsübereinkommen von 1982 und den Verhaltenskodex für verantwortliche Fischerei von 1995. Massive Überfischung und Umweltzerstörung widersprechen auch dem im europäischen Recht verankerten Vorsorgegrundsatz. Die Geheimagenten von Dr. Evil würden daher erhebliche Lobbyarbeit leisten, damit die europäischen Gesetzgeber diese störenden Einschränkungen einfach vergessen.

Aufgrund der schrumpfende Fischbestände würden den Fischern aber immer weniger Tiere ins Netz gehen, während die Fangkosten steigen. Die Fischereien würden dann unrentabel und Dr. Evils böser Plan käme zu einem Ende, bevor die Bestände völlig zerstört wären. Um dies zu verhindern, leiten seine Agenten erhebliche Mengen an Steuergeldern um, so dass eine viel zu große Flotte weiterfischen kann und jeder Fisch schon bezahlt ist, bevor er überhaupt angelandet wird. Um dem Ganzen einen Schein von Rechtmäßigkeit zu geben, würde Dr. Evil auch 500 Wissenschaftler bezahlen, die auf Tausenden von Seiten den Zustand der Fischbestände so beschreiben, dass kein Außenstehender es versteht. Zugleich würden die Agenten die europäischen Landwirtschaftsminister unter Druck setzen, damit sie den Rat der Wissenschaftler ignorieren und die erlaubten Fänge weit über der Menge ansetzen, die einen Zusammenbuch der Bestände verhindern würde. Die Agenten würden auch Firmen damit beauftragen, die Umweltkampagnen der Naturschützer so zu sabotieren, dass plötzlich die überfischten Bestände von Hering, Scholle und Seezunge mit dem höchsten Ökosiegel ausgezeichnet werden. Zur Irreführung der Öffentlichkeit organisieren die Agenten Medienkampagnen, in denen das traurige Los der lokalen Fischer in ergreifenden Bildern geschildert wird. Die Ursachen allen Übels sind dabei schnell klar: die Anderen und der Klimawandel.

Natürlich ist jede Übereinstimmung zwischen dem oben beschriebenen Szenario und den tatsächlichen Verhältnissen in der europäischen Fischereipolitik rein zufällig.

Oder etwa nicht, Dr. Evil?“

Dieser Text ist ein Auszug aus einem Leitartikel, den Dr. Rainer Froese, Fischereibiologe am IFM-GEOMAR in Kiel, für die Zeitschrift Research Europe (11. Feb. 2010) geschrieben hat.

Wie Froese betont, sind leider nur Dr. Evil und seine Agenten frei erfunden. Alles andere sei eine nicht übertriebene Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse, wie man sie im Grünbuch zur europäischen Fischereipolitik, in wissenschaftlichen Veröffentlichungen oder in seriösen Zeitungen nachlesen kann. Zum Beispiel sind nach Aussagen der Europäischen Kommission 88% der Bestände überfischt und 30% vom Zusammenbruch bedroht. Eine andere Studie zeige, dass in den letzten Jahrzehnten die Landwirtschaftsminister in nur 8% der Fälle dem Rat der Wissenschaftler gefolgt seien und dass die erlaubten Fänge im Durchschnitt 50% höher festgesetzt wurden als die Fangmenge, die einen Zusammenbruch des Bestandes vermeidet.

Zusammen mit Alexander Proelß, Professor für internationales Recht, hat Froese im Rahmen des Kieler Exzellenz Clusters ‚Ozean der Zukunft’ eine Studie veröffentlicht, die den Zustand der europäischen Fischbestände analysiert. Sie zeigt, dass Europa der Verpflichtungen aus dem internationalen Seerechtsübereinkommen von 1982, seine Fischbestände so wiederherzustellen, dass sie dauerhaft den höchsten Ertrag liefern können, bis heute nicht nachgekommen ist. Diese Umsetzung sollte, wie alle beteiligten Staaten auf dem Entwicklungsgipfel in Johannesburg im Jahr 2002 beschlossen haben, bis zum Jahr 2015 erfolgen. Froese und Proelß zeigen jedoch, dass dieses Ziel um mehr als 30 Jahre verfehlt wird, wenn man so weiter macht wie bisher. Dabei würde sich ein Aufbau der Bestände durchaus lohnen. Nach nur 4 Jahren ohne Fischerei hätten sich die meisten Bestände erholt. Bei vollständiger Erholung würden die Fänge 79% höher sein als gegenwärtig. Bestehende Subventionen und künftige Gewinne könnten zur Finanzierung einer Übergangsphase genutzt werden, in der einigen Fischern ein angemessener Ausstieg ermöglicht wird, und die verbleibenden Fischer in nachhaltiger Fischerei und dem Einsatz schonender Fanggeräte ausgebildet werden. „Eine solche Kehrtwende in der europäischen Fischereipolitik erfordert allerdings ein Maß an politischem Willen, wie er gegenwärtig in Europa nicht erkennbar ist,“ sagt Froese, und fügt hinzu: „Dr. Evil kann sich also freuen.“

Dr. Rainer Froese, Fischereibiologe
Leibniz-Institut für Meereswissenschaften
IFM-GEOMAR

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